Rezension von Klaus Klemp zu „Grafikdesign aus Österreich. 38 Lebensläufe“
Einen zweiten Band mit Biografien zum österreichischen Grafikdesign legt der Wiener Designhistoriker Bernhard Denscher vor. Der 2022 erschienene erste Band berücksichtigte die Geburtsjahre bis 1900. Nun folgen die Jahre 1901 bis 1937 und damit zumeist Arbeiten der späten Zwanzigerjahre und der Nachkriegszeit bis etwa in die frühen 1980er Jahre. Nicht berücksichtigt werden „begeisterte Propagandisten des Nationalsozialismus“ und noch lebende Gestalter und Gestalterinnen. Letztes ist ein klassisches Publikationsprinzip, das Erste verdeutlicht die Haltung des Autors.
Dieses der Prosopographie verpflichtete Vorgehen, also der „systematischen Erforschung eines Personenkreises mit dem Ziel allgemeine Aspekte einer Epoche herauszuarbeiten“, hat seinen besonderen Erkenntnisgewinn darin, Generationskohorten über ihre gesamten Entwurfsleistungen nebeneinander zu stellen. Das gibt ein zum Teil anderes Verständnis als die übliche Werkchronologie. So werden nicht nur Paradigmenwechsel, sondern auch biografisch begründete Konstanten in der Designgeschichte berücksichtigt. Hinzu kommt, dass die Protagonisten nicht nur mit ihren besten Werken, sondern mit ihrer gesamten Entwicklung dargestellt werden. Denn nicht selten ändert sich bei einzelnen Gestaltern und Gestalterinnen nicht nur die Form der Gestaltung, sondern auch die Gestaltungshaltung und die sozio-kulturelle Orientierung.
Ein Beispiel dafür ist Paul Aigner (1905–1984), der sich 1941 erfolgreich am Plakatwettbewerb für das im Nationalsozialismus entstandene melodramatische Filmopus der „Geierwally“ beteiligt, ab 1947 dann aber Plakate, Bücher und Zeitschriften für die KPÖ gestaltet und später wiederum für die konservative österreichische Volkspartei tätig wird. Sein bekanntestes Plakat erschien 1957 für den deutschen Bundestagswahlkampf der CDU / CSU mit der Schlagzeile „Keine Experimente“ und dem prägnanten Kopf des 81-jährigen Konrad Adenauer, der mit neuer, absoluter Parlamentsmehrheit wiedergewählt wurde. Zudem entstanden zahlreiche Tourismusplakate, Titelseiten für Notenblätter, Werbung für Badeanzüge, Damenunterwäsche und nicht zuletzt war er einer der erfolgreichsten Pin-up-Maler Österreichs und 1948/49 Präsident des Bundes Österreichischer Gebrauchsgrafiker.
So schillernd sind fraglos nicht alle Biografien, aber alle zeigen mehr oder weniger, dass Personen nicht auf einzelne Werkphasen im Vergleich zu anderen reduziert werden können, will man das Entstehen, die Netzwerke, Kontinuitäten, Brüche und Widersprüchlichkeiten von Designleistungen nachvollziehen.
Ein besonderer Verdienst dieses wie auch des vorausgegangenen Bandes liegt in der Reichhaltigkeit der durch intensive Recherche ermittelten Informationen zu den Gestalterinnen und Gestaltern. Damit schließen sich so manche weiße Flecken der Designgeschichte. Zumal hier mehr als gründlich und ausdauernd gearbeitet wurde, was durch einen umfangreichen Anmerkungsapparat nachvollziehbar wird.
Ikonen der österreichischen Plakatgestaltung der Zeit sind Fremdenverkehrsplakate, etwa von Friedrich Veit (1906–?) „Im Winter nach Wien“, von 1937 mit einer spektakulären Nachtansicht des beleuchteten Turms der Stephanskirche. Oder Paul Aigner 1948 mit „Winterfreuden in Österreich“ mit dem Bild eines lachenden Mädchens mit Spuren eines Schneeballs im Gesicht. Tourismusplakate für Tirol von Arthur Zelger (1914–2004) sind schon vom Swiss Style beeinflusst wie auch seine bis heute verwendete Schriftmarke „Tirol“ mit zwei sich durchdringenden und einem liegenden Buchstaben aus dem Jahr 1976. Auch Karl Neubacher (1926–1978) gehört schon in die grafische Moderne der sechziger und siebziger Jahre. Bei ihm war der traditionelle Illustrationsstil passé und seine Arbeiten orientierten sich an internationalen Tendenzen. Auch der Vorarlberger Othmar Motter (1927–2010) ist in dem Zusammenhang zu nennen, vor allem für seine Signets, Auszeichnungsschriften oder die jahrelange Werbung für die Messe Dornbirn und die Bregenzer Festspiele. Lois Gaigg (1905–1944) entwirft schon 1938 das berühmte Sparkassen S, das 1972 von Otl Aicher überarbeitet und bis heute als Logo genutzt wird. Das nennt man Longseller.
In die späten 1960er Jahre reicht das Werk von Wilhelm Jaruska (1916–2008), etwa sein Plakat „Foire Internationale de Vienne“ (Internationale Messe Wien) mit klarer Typografie, ungegenständlichen Formen und klaren Farben. Dagegen steht allerdings seine ganz andere, freie von der Landschaft inspirierte Malerei.
Frauen im Grafikdesign bilden im vorliegenden Band ein Viertel der Biografien. Margit Doppler (1909–2001) ist im Bereich Kinowerbung erfolgreich z.B. mit dem herausragenden Plakat für Chaplins „Lichter der Großstadt“ von 1931. Sie gestaltet auch über vier Jahrzehnte das Corporate Design des Süßwarenherstellers Kirstein. Die jüdische Grafikerin Lizzi Pisk (1909–1997), Schülerin an der Kunstgewerbeschule u.a. auch bei dem bekannten Architekten Oskar Strnad, Tänzerin, Gründerin einer Lehranstalt für künstlerischen Tanz und Zeichnen, Bühnenbildnerin, Kostümbildnerin, Karikaturistin und Plakatgestalterin, geht seit 1933 zeitweise und seit 1939 ganz nach England, wo sie eine beachtliche Kariere macht. Die Illustratorin und Satirikerin Lisl Weil (1910–2006) ist seit 1939 in die USA emigriert. Der menschenverachtende Nationalsozialismus hat nach 1937 auch in Österreich Gestalter und Gestalterinnen in die Flucht getrieben oder ins KZ gebracht. Ermordet wurde dort die aus vormals angesehener jüdischer Familie stammende und der Moderne verpflichtete Grafikerin, Illustratorin und Kinderbuchautorin Hanna Schiff (1902–1942).
Der sehr empfehlenswerte Band des Wiener Designhistorikers eröffnet einen neuen Blick auf das österreichische Designgeschehen der Zeit. Bernhard Denscher, promovierter Historiker und Germanist, war zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit Referent in der Plakatsammlung der Stadt Wien, dann Stellvertretender Direktor der Wiener Stadt- und Landesbibliothek und von 1991 bis 2016 Leiter der Kulturabteilung der Stadt Wien. Dabei hat er seit 1981 vielfach zum Thema publiziert, an zahlreichen Ausstellungen mitgewirkt und 2010 ein eigenes, privates Internetportal https://www.austrianposters.at aufgebaut, zu dem 12 weitere wissenschaftliche Autoren zuliefern. „Die Website ist unabhängig, privat finanziert und nicht kommerziell orientiert“, heißt es im Impressum.
In einer Zeit, in der das Fach Designgeschichte an deutschen Hochschulen massiv abgebaut wird, ist solch eine fundierte private Initiative aus dem Nachbarland der Silberstreif am Horizont. Ohne Wissen um die Geschichte der eignen Profession werden es deutsche Designstudentinnen und -studenten für ihre Zukunft schwer haben. Exotische Theorien zum Design, wie sie allerorten angeboten werden, nutzen wenig, wenn man die Hintergründe und unterschiedlichen Positionierungen von Design nicht kennt.
Dieser Band vermittelt vorbildlich ein faktenreiches und belastbares Wissen und erschließt zahlreiche bislang zu wenig beachtete Namen. Eine zeitliche Fortsetzung wäre mehr als wünschenswert.
Text: Klaus Klemp
Bernhard Denscher: Grafikdesign aus Österreich. 39 Lebensläufe. Wolkersdorf (Aesculus Verlag), 2024. 216 Seiten, mit 195 meist farbigen Abbildungen, 23×18 cm; Preis: EUR 39; ISBN 978-3-200-09855-8.
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