Die Inflation moderner Gestaltung
Rezension von Bernhard E. Bürdek
Der Chefkurator des Vitra Design Museums in Weil am Rhein – Mateo Kries – präsentiert ein neues Buchformat: seine persönliche Lebensgeschichte im Umgang mit Produkten verbindet er mit einer subjektiven Schilderung von Designgeschichte. Beides zusammen mündet in einer vehementen Kritik postmodernen Designs – die er die Inflation von Gestaltung nennt.
Wobei Kries bereits im ersten Satz irrt: Niemand hätte vor 20 Jahren gedacht, welche Rolle Design in unserem Leben spielen würde, aber genau dies hatte Gert Selle in seinem 1990 erschienenen Beitrag Unzeitgemässe Ansichten (im Design Bericht 1989-90 des Rat für Formgebung) schon sehr genau beschrieben und auch kritisiert. Kries subjektive Erfahrungen, z.B. mit IKEA-Regalen, dem VW-Bus seiner Eltern oder den Schilderungen von der Mailänder Möbelmesse sind durchaus authentisch.
In seinem objektiven Teil häufen sich indes die Fehler:
- Dieter Rams war definitiv nicht an der Gründung der HfG Ulm beteiligt
- Dass Luigi Colani mit der Kaufhof-Marke Carlo Colucci verwechselt wurde ist blanker Unsinn.
- Dass Lucius Burckhardt 1980 das Buch Design ist unsichtbarherausgebracht hat, ist auch falsch. Es erschien 1981 in Wien, Herausgeber waren Helmuth Gsöllpointner, Angela Hareiter und Laurids Ortner. Lucius Burckhardt war nur mit einem Essay vertreten, dessen Überschrift dann aber auch zum Titel dieses legendären Buches wurde
- Auf der documenta 8 in Kassel wurde nicht 1987 erstmals Design präsentiert – was von den damaligen Machern gern kolportiert wurde – sondern bereits 1977 anlässlich der documenta 6 mit einer Abteilung über Utopisches Design, mit Beispielen von Bertone, Fiat, Ford, General Motors, Hans Hollein, Panamarenko u.a.m.
- Anfang der 1970er Jahre erschien nicht ein Whole Earth Catalog, sondern es waren insgesamt deren 20 (bis zum Jahre 1994), in denen der damalige Herausgeber Steward Brand übrigens auch den Übergang von der Hardware zur Software demonstrierte, in dem zahlreiche damals verfügbare Programme über zwei spezielle Whole Earth Software Catalogs erschienen sind (1984 und 1986) zu beziehen waren u.a.m.
Als studierter Kunsthistoriker und renommierter Designkurator sollte man die Geschichte seiner Disziplin doch wahrlich genauer kennen!
Aber das ist ja nur die eine Seite der Medaille: Mateo Kries kritisiert heftigst die postmodernen Auswüchse, sicherlich nicht zu Unrecht. Aber die Konsequenzen, die er daraus zieht, sind banal: so verfällt er einerseits in das Denken eines Victor Papaneks der 1970er Jahre (Design for the Real World, 1972). Die GTZ als Heilsbringer für die Entwicklungs- und Schwellenländer zu promoten ist schlicht weg naiv. Andererseits kritisiert er die postmoderne Bewegung mit postmodernen Argumenten: die Generation Design gestalte ihr Leben mit unbedingtem Stillwillen (S. 137). Man solle doch wahrlich die soziale Funktion von Design entdecken – ein Thema, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutsam war.
Überhaupt liebt er ja Plattitüden über alles: die Theoriemaschine brummt (S. 42) klingt gut, wird aber durch kein einziges Argument belegt, dafür fordert er eine völlig neue Ausbildung von Design-theoretikern und –kritikern (S.153), ohne auch nur die derzeit globalen Diskurse ansatzweise zu kennen, die von diesen geführt werden. Und dass die Designgesellschaft der Zukunft etwas ganz Essentielles braucht: eine neue Ethik (S. 165) darüber wurde schon auf mannigfaltigen Konferenzen diskutiert.
Aber wenn wir schon bei der Theorie sind: die Trendforschung ist für ihn die Grundlagenforschung für die Designgesellschaft, denn diese ergründet welche Farben, Formen, Objekte oder Emotionen in Zukunft auf dem Designmarkt besonders begehrt sein werden. Natürlich möchte man sagen, das braucht doch die Gesellschaft ganz besonders, denn die neuesten Moden und Trends sind es, die den Konsum befördern. Und dass die Designmuseen dabei heute reichlich behilflich sind konstatiert Mateo Kries zu Recht, wobei sein eigens Haus – das Vitra Design Museum – dabei eine ganz besonders (positive) Rolle spielt.
Dass sich der Kapitalismus gegen den Kommunismus auch deshalb durchgesetzt habe, weil immer mehr Bewohner des Ostblocks sich nicht länger den Konsum verbieten lassen und endlich auch an der glitzernden Design teilhaben wollte (S. 70) ist schon recht waghalsig, denn es ging den Bürgern der ehemaligen DDR schlichtweg um Freiheit und nicht um Design, geschweige denn um die Designerdrogen, von denen er so schwärmt. Und dass man deshalb heute eben die soziale Funktion von Design (wieder)entdecken solle, ist reichlich sensationell.
Und so wundert es nicht, wenn sein Gegenentwurf zur Design-gesellschaft reichlich dünn ausfällt und weitestgehend nur aus Schlagworten besteht: Design-Demokratie, Ökologie und Survival, Hightech als Handwerk, Werkzeuge des Sozialen, Design Governance etc. etc.
Bei so viel zeitgeistigen Platituden wundert es nicht, dass Mateo Kries 2006 im Rahmen der Berliner Initiative Land der Ideen zu den 100 einflussreichsten jungen Deutschen gezählt wurde.
Mateo Kries
Total Design
Die Inflation moderner Gestaltung
Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH Berlin, 2010
ISBN 978-3-89479-581-8