Ein Modell transkultureller Verflechtung?
Rezension von Viola Hildebrand-Schat
Muster lässt an Ornament denken, weiterhin auch an Vorlage, wie sie die zur Musterung vorgelegte Werkprobe liefert, assoziiert aber auch „ mustergültig“ als nachzuahmende Beispielhaftigkeit. Das Feld der sich an den Begriff „Muster“ schließenden Vorstellungen ist weit, umso mehr als sich mit Globalisierung und Einer-Welt-Politik Vorstellungsräume ausweiten. Dabei zeigt sich einmal mehr, dass eine eurozentristische Fassung des Musterbegriffes mehr als überholt ist. Und das bestätigten auch die in Muster im Transfer zusammengestellten Überlegungen. Zur Sprache kommen Vertreter aus Kunst, Kunstgeschichte, Archäologie, Ethnologie, Kulturwissenschaften, Design und angewandter Kunst. Die Auseinandersetzung mit Mustern, ihren Strukturen und ihrer Kontextualisierung erfolgt entsprechend aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Dabei wird nicht nur deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Muster längst die Grenzen des Dekorativen, Schmückenden und Mustergültigen durchbrochen hat, sondern ebenso, wie sehr sie in den internationalen und globalen Diskurs integriert ist. Muster haben ihre regionalen und nationalen Anwendungsbezüge verlassen, um nun in neuen Kontexten wirksam zu werden. Dass solche Ausweitung notwendig Blick- wie auch Bewusstsein erweitert, zeigen die überzeugenden wie bisweilen auch verblüffenden Beispiele, auf die die Autoren der Beiträge ihre Argumente- stützen.
Setzt die Musterformierung am Ornament an, so ist sie keineswegs darauf beschränkt, weitet sich vielmehr auf Beispielhaftigkeit und Verhaltensnorm aus. Besteht etwa ein Vorzug des Ornaments gerade darin, dass es von jeglichem Zweck absieht und allein um der Gestaltung willen existiert, mit dem Anspruch nichts weiter sein zu wollen als Dekoration, so wartet das Muster im Gegensatz dazu mit einem tiefgreifenden Beziehungsgefüge auf, das ebenso historische Implikation wie aktuelle gesellschaftspolitische Botschaft transportiert, durchaus mit der Absicht, Kritik zu üben und Aufmerksamkeit zu lenken. Die Struktur, die sich bereits auf der Oberfläche, etwa von Stoffen, Tapeten oder anderen Materialien abzeichnet, ist gleichwohl umfassender, schließt Muster doch jedwede Struktur, also Handlungsabläufe wie Denkweisen mit ein, solange sie sich mit einer gleichförmigen Wiederholungen, einer Weise der Reproduktion verbinden. Somit ist die Erschließung des Musters frei für jedwede Untersuchung von Rahmenbedingungen, Widerspiegelungseffekte und Wiederholungsprozesse, die die abenteuerlichsten Formen annehmen können, etwa wenn eine ganze Ortschaft, wie etwa das 800 Einwohner umfassende österreichische Bergdorf Hallstadt, in einer chinesischen Provinz bis ins Detail identisch nachgebaut wird.
Vom Ornament über die Arts and Crafts Mouvement bis zur Mikrofotografie, von der Bemalung antiker Vasen über Adolf Loos‘ Vortrag Ornament und Verbrechen bis hin zu Recyclingsprozessen von tradierten Mustern im zeitgenössischen Design und Kopien ganzer Ortschaften liefert der Band einen epochenübergreifenden Abriss der Musterformierung. Muster, so wird hier deutlich, verdienen weit mehr Aufmerksamkeit, als ihnen lange von Seiten der Kunst- und Kulturgeschichte entgegengebracht wurde. Gerade die gegenwärtige Nutzung von Mustern deckt auf, dass sie auch als Indikatoren globaler Zusammenhänge dienen. Als solche liefern sie den nonverbalen Kommentar zu manch politischer Konstellation, insbesondere auch zu aktuellen Spannungen. So zeigt die Enthierarchisierung, die mit der Freisetzung der Muster aus dem angewandten Bereich verbunden ist, dass das, was einst als Dekor, als schmückende Rahmung oder als zum Vorbild dienende Probestück wahrgenommen wurde, weitaus größeres Potential einbinden, als der erste Blick vermuten lässt. Beispiele sind „Delfter Blau“ als postkoloniale Pathosformel, die Selbstkuratierung von Künstlern oder Kleidermuster als Codes, um mitzuteilen, was nicht explizit gemacht werden kann.
Losgelöst von jeglicher lexikalischen Bedeutung liefern Muster die besten Voraussetzungen einer Universalsprachlichkeit. Und das gilt in gleichem Maße für ihre visuelle Erscheinung wie auch ihre praktische Anwendung. Die mit bestimmter Regelmäßigkeit erfolgte Wiederholung, sei es die eines Musterrapports im Textil, sei es die in einer Verhaltensform, erschließt sich unabhängig von kultureller Zugehörigkeit jedem – zumindest nach einiger Zeit. Als non-verbales Kommunikationssystem können Muster so umfassend über Grenzen hinweg wirkungsvoll eingesetzt werden. Die Rede ist von „Teppichparadigma“ als Ausgangspunkt einer zeitgenössischen Welt-Kunstgeschichte, von migrierenden Formen als verbindendes Element zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem. Gleichzeitig wird aber auch die Rolle des Kontextes deutlich, etwa wenn Gegenstände aus ihrer gewohnten Umgebung isoliert nur mehr als Bild erscheinen und so freigesetzt werden für eine Neudeutung.
Die zur Sprache kommende Vielfalt, den Musterbegriff zu sichten und neu zu denken, garantiert eine kurzweilige und dabei zugleich eingängig informierende Lektüre. Das weitgespannte Themenfeld gibt einen umfassenden Einblick in den aktuellen Musterdiskurs, liefert darüber hinaus aber auch ein Stück Kulturgeschichte der besonderen Art.
Muster im Transfer. Ein Modell transkultureller Verflechtung? Hg. von Annette Tietenberg.
Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2015.
272 Seiten mit s/w Abbildungen, 17 x 24 cm.