GfDg Rezension von Gerda Breuer: DIE Frauen der Wiener Werkstätte im MAK Wien

Die Frauen der Wiener Werkstätte

Ausstellung und Katalog des MAK – Museum für angewandte Kunst Wien.
Rezension von Gerda Breuer

Betrachtet man Überblicke über die Designgeschichte, hat man den Eindruck, Frauen sind allenfalls Randfiguren. Mit großem Beharrungsvermögen tauchen die wenigen meist als Ausnahmen auf. Zwar verweist so manch aufgeklärter Autor, auch manche Autorin, darauf, dass Frauen zu Unrecht unterrepräsentiert sind, doch es fehlt das Bemühen, das seit langem gesicherte Wissen über die Bedeutung von Frauen in der Designgeschichte zu integrieren.

Ein ähnliches Bild vermitteln deutsche Sammlungen. Zieht man beispielsweise online-Datenbanken von renommierten deutschen Plakatsammlungen zu Rate, ist das Bild geradezu erschreckend. Liegt es wirklich daran, dass es nicht so viele erwähnenswerte Grafikdesignerinnen gab? Tatsächlich liegen nicht wenige Forschungsergebnisse vor.

Spät, erst eigentlich kurz vor den 1990er Jahren, datieren einzelne Untersuchungen. Mit einer Zeitverzögerung von ca. 20 Jahren spielt sich im Fach Designgeschichte das ab, was in der Nachbardisziplin Kunstgeschichte bereits in den 1970er Jahre stattfand: Die Spurensuche und -sicherung von Repräsentantinnen des Fachs. Das Landesgewerbeamt Stuttgart startete 1989 die Ausstellung „Frauen im Design. Berufsbilder und Lebenswege seit 1900“, darin publizierte Gerda Müller-Krauspe den Beitrag „Wir waren 26 – Frauen an der hfg“. 2007 folgte „Selbstbehauptungen – Frauen an der HfG Ulm“. Die Bauhausforscherin Magdalena Droste leistete Pionierarbeit. 1994 schloss Anja Baumhoff ihre Dissertation mit dem Titel „Gender, Art and Handicraft at the Bauhaus“ an der Hopkins Universität ab, die sie 2001 in gekürzter und überarbeiteter Form in Frankfurt am Main veröffentlichte. Es folgte eine Reihe weiterer Autorinnen. Besonders ertragreich war das Jahr des Bauhaus-Jubiläums 2019. Hier wurden Frauen am Bauhaus und die Genderstrukturen der Schule zu einem zentralen Thema. Dissertationen und gendersensible Aufsatzbeiträge erweiterten die Perspektive in einer Vielzahl. Die Rezensentin selbst hat (mit Julia Meer) 2012 ein Kompendien zu Frauen in der Geschichte des Grafikdesign bis heute (Women in Graphic Design) herausgegeben und 2019 erschien „notamuse: A New Perspective on Women Graphic Designers in Europe“ von Silvia Baum, Claudia Scheer und Lea Sievertsen. 2018/19 haben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden die Ausstellung und den informativen Katalog mit dem Titel „Gegen die Unsichtbarkeit – Designerinnen der Deutschen Werkstätten Hellerau 1898 bis 1938“ verantwortet. 2020 veranstaltete das HfG-Archiv in Ulm „Nicht mein Ding – Gender im Design“, ein Jahr später das Vitra Design Museum die Ausstellung „Here we Are. Frauen im Design 1900 – heute“ (leider ohne Katalog). Und dennoch: In die Narrative der Fachdisziplin wurden und werden auch heute noch all diese Untersuchungen nicht aufgenommen. Doch im Ausland sieht es tendenziell anders aus.

Drei hervorragende Ausstellungen, die gegen die traditionellen Muster der Wahrnehmung von Frauen: die der Muse, der Ehefrau und der Assistentin, argumentierten, gingen in den letzten Jahren von hier aus: Die hervorragende Schau über die Eigenständigkeit des Werkes von Anni Albers, der Ehefrau von Josef Albers, von der Tate Modern, 2018/19; die außergewöhnlich umfassende Werkschau über Charlotte Perriand, die fast nur als Assistentin von Le Corbusier bekannt war, wurde 2019/2020 über drei Etagen der Foundation Louis Vuitton in Paris gezeigt, begleitet von einem voluminösen Katalogbuch; auch die Ausstellung über die Künstlerin und Werbefotografin Dora Maar, die als Muse Picassos gilt, ging ebenfalls von der Tate Modern in London aus. Zudem sind sehr viele der heutigen kleinen Netzwerke von Frauen in den Niederlanden, Belgien, Schweden, England und den USA äußerst produktiv in der Beschäftigung mit feministischen Themen in der Designgeschichte.

Die Wiener Ausstellung
Zum einen ist die Ignoranz gegenüber Designerinnen dem misogynen Klima Wiens um 1900 geschuldet. Abwertende Äußerungen von Künstlern wie Adolf Loos, Julius Klinger und anderen sind bekannt. Loos sprach von den Designerinnen als „gelangweilte höhere Töchter“, Klinger vom „Wiener Weiberkunstgewerbe“ und der Architekt Oswald Haerdtl bezeichnete die Werkstätte als „unerhörte Pupperlwirtschaft“. Zum anderen hielt man künstlerisches Arbeiten nur in bestimmten Bereichen als der Natur der Frau angemessen. Eine solche Haltung äußerte z.B. Rudolf von Eitelberger, der Gründungsdirektor des 1863 nach dem Vorbild des South Kensington Museums in London (heute Victoria and Albert Museum) gegründeten k.k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (heute MAK) und der dem Museum angeschlossenen, 1867 gegründeten k.k. Kunstgewerbeschule. Er legte in den Statuten fest, dass Frauen zwar als Studentinnen an dieser Schule willkommen waren, aber nur in eingegrenzten Bereichen. In der katholisch geprägten Habsburgermonarchie war es nicht angemessen, dass Frauen Aktunterricht am lebenden Modell nahmen, eine unabdingbare Voraussetzung für die Fächer Malerei und Bildhauerei.

Die meisten der Designerinnen der Wiener Werkstätte (WW) waren Schülerinnen von Josef Hoffmann und Koloman Moser. Hoffmann unterstützte zwar die Präsenz von Frauen in der Architektur, dennoch nicht unbedingt in der Ausbildung als Architektinnen. Frauen wurden vielmehr zu Kunstgewerblerinnen ausgebildet. Am Ideal des Gesamtkunstwerkes orientiert, unterrichtete er die vielseitig talentierten Frauen in Bereichen des Dekors und des Wohnens, die die Entwürfe der männlichen Studierenden ergänzten. Zu Kriegszeiten nahm die Zahl der weiblichen Studierenden jedoch stetig zu, bis sie am Ende des Krieges in der Überzahl waren. Aus der Klasse von Koloman Moser gingen ebenfalls namhafte Kunstgewerblerinnen hervor wie Therese Trethan, Jutta Sika, Emilie Simandl, Mela Koehler, Leopoldine Kolbe, Ella Max, Gabi Möschl, Dina Kuhn, Hedwig Schmidt, Marie Weißenberg und Agnes Speyer. Grafische Arbeiten kamen in der WW beim Entwurf von Tapeten- und Textilmustern zum Zuge, vorzugsweise aber bei den Künstlerpostkarten.

Frauen spielten eine immens wichtige Rolle in der Künstlerwerkstätte – vereinzelt auch im Führungsbereich. Es gab nicht nur Werkstätten-Leiterinnen, sondern sogar eine Frau an der Spitze: Helene Bernatzik leitete zeitweise die gesamte Künstlerwerkstätte. Dass die Frauen in ihrer eigenen Zeit durchaus sichtbar wurden, zeigt zum Beispiel der sogenannte Kachel-Katalog, den sich die Wiener Werkstätte anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens 1928 leistete. Nicht nur, dass ihn drei Frauen entwarfen – Vally Wieselthier schuf die Vorderseite des Papiermaché-Einbands, Gudrun Baudisch die Rückseite und Mathilde Flögl gestaltete die Seiten –, sondern die drei Frauen stellten sich auch zusammen mit Maria Likarz auf einer Doppelseite den Gründern Josef Hoffmann und Koloman Moser sowie dem Initiator der WW, Dagobert Peche, gegenüber. Mit dem obligatorisch modischen Bubikopf präsentieren sie sich selbstbewusst vor der Kamera.

Zum Teil erhielten gerade die Künstlerinnen extrem attraktive Aufträge, etwa den zur Ausgestaltung des ersten Verkaufslokals der Werkstätte in der Kärntner Straße. Was sie schufen, war nichts weniger als ein Gesamtkunstwerk in floraler Ornamentik und Deckenmalerei. Auch an der für Österreich so wichtigen Exposition International des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris 1925 nahmen viele Frauen der WW teil.

Wie kam es dazu, dass so viele von ihnen in der Wiener Werkstätte arbeiteten? Da die Gründungsmitglieder gleichzeitig Professoren an der Kunstgewerbeschule waren, konnten sie aus ihren Meisterklassen potentielle WW-Künstlerinnen rekrutieren. Josef Hoffmann wurde 1898 Leiter der Fachklasse Architektur. Alfred Roller übernahm 1900 die Abteilung Figurales Zeichnen, Koloman Moser war von 1900 bis 1918 Professor der Fachklasse für dekoratives Zeichnen und Malen. Die Allianz von Lehrer und Unternehmer war für die Wiener Werkstätte von großem Vorteil, denn ihre Leiter konnten sich nach ihren Leitsätzen geschulte Arbeitskräfte heranziehen und verfügten über stetig nachwachsende Studierende. Die Werkstätte sollte eine Art Experimentierfeld für Künstler*innen werden, auch jener, die dort keine feste Anstellung hatten.

Professionalisierung von Frauen
Bei allem Konservativismus Wiens um die Jahrhundertwende muss man konstatieren, dass es frauenfördernde Ausbildungsinstitutionen lange vor 1900 gab. Neben der Kunstgewerbeschule, die Frauen schon ab 1868 zuließ, gab es die Kunstschule für Frauen und Mädchen, gegründet 1897 (später Wiener Frauenakademie), die halb-staatlichen Status hatte. Diesen Institutionen ging es darum, Frauen eine gleichwertige Lehre zu vermitteln. Einige Mitarbeiterinnen der Wiener Werkstätte wie Fritzi Löw hatten in der Kunstschule für Frauen und Mädchen ihre Ausbildung genossen.

Auch gab es in Wien ein aufgeklärtes und kunstaffines Bürgertum. Einzelne Frauen konnten einen hohen gesellschaftlichen Status erreichen. Bekanntestes Beispiel ist die jüdische Schriftstellerin, Journalistin und Salonnière Berta Zuckerkandl, die als Kunstkritikerin für die Wiener Allgemeine Zeitung und das Neue Wiener Journal arbeitete und nicht zuletzt durch diese Tätigkeit Einfluss hatte. Sie war eine Vorkämpferin der Wiener Secession und der Wiener Werkstätte und eines der sehr wenigen weiblichen Mitglieder des Werkbunds in Österreich, der, wie in Deutschland, männerbündische Züge trug.

Die starke Präsenz der Frauen war bereits erkennbar in einer Vorläufereinrichtung, der 1900 gegründeten Wiener Kunst im Hause, die bis 1904 existierte, worauf insbesondere Elisabeth Schmuttermeier im Katalog hinweist (S. 36-39). Die Institution repräsentierte das erste kommerzielle Unternehmen der Kunstgewerbeschule. Einige ihrer Mitglieder wie Jutta Sika und Therese Trethan traten dann in die Wiener Werkstätte ein. Ihre Entwurfsbereiche waren Holz, Metall, Glas, Ton, Leder, Papier und Leinen, sie haben eigene Ausstellungen veranstaltet, die häufig in den Fachzeitschriften besprochen wurden. Die grafischen Arbeiten beziehen sich hauptsächlich auf die Werbung für die Gruppe, beispielsweise zu Ausstellungseinladungen oder zum Verkaufskatalog.

Frauenpolitisch ist die starke Präsenz von Designerinnen an der Wiener Werkstätte deshalb bemerkenswert, weil es den Studentinnen gelang, sich beruflich zu etablieren. Es war das vorrangige Ziel der Frauen in dieser Zeit, die eigene Selbständigkeit durch den Zugang zu einem Beruf zu ermöglichen. Die noch kaum untersuchte berufliche Weiterentwicklung der Frauen zeigt im vorliegenden Fall, dass sie durchaus erfolgreich freiberuflich arbeiten und für ihren Lebensunterhalt sorgen konnten, auch im Ausland nach ihrer Emigration. Das war beispielsweise bei Ella Margold der Fall, die wie Mela Koehler bei Bahlsen in Deutschland in der Werbeabteilung arbeitete. Maria Likarz war von 1916 bis 1920 Lehrerin an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstin in Halle, Fritzi Löw verdiente sich ihren Lebensunterhalt nach ihrer Emigration nach Dänemark, England und Brasilien als Möbeldesignerin. Nach ihrer Rückkehr nach Wien belieferte sie viele Verlage mit grafischen Entwürfen, usw. usf.

Sozialpolitisch und auch feministisch waren die Frauen der WW allerdings wenig engagiert und das in einem Wien, das auf diesem Gebiet eine Vorreiterposition einnahm. Die Frauenbilder auf den Künstlerpostkarten spiegeln eine modisch-mondäne Welt wider und verharren in einem konservativen Frauenbild. Allgemein trugen ihre Arbeiten mit ihren modernen Dekor eher zu einer Ästhetisierung der neuen Lebenswelt bei.

Die Frauen der Wiener Werkstätte / Women Artists of the Wiener Werkstätte, hrsg. von MAK-Museum für angewandte Kunst, Christoph Thun-Hohenstein, Anne-Katrin Rossberg, Elisabeth Schmuttermeier, WienBirkhäuser Verlag, Basel 2020

> Link zum Verlag: https://birkhauser.com
> Link zum MAK: https://mak.at

Text: Gerda Breuer
Bild: MAK-Ausstellungsansicht, 2021: DIE FRAUEN DER WIENER WERKSTÄTTE, MAK-Ausstellungshalle, © MAK/Georg Mayer