Rezension von Bernhard E. Bürdek
Keine Frage, an der HBFK in Hamburg haben eine Reihe renommierter Persönlichkeiten gelehrt: Max Bill (Umweltgestaltung von 1967-74), Peter Raacke (Industriedesign 1968-94), Dieter Rams (Indudstriedesign 1981-97), oder Glen Oliver Löw (Produktentwicklung seit 2000). Hinzu kamen Gäste wie Josef Beuys (Gastprofessor 1974/75), Bazon Brock (Professor von 1965-76) oder Enzo Mari (Ehrenprofessor seit 2000). Sie alle kommen jetzt unter dem Label HBFK in einem Sammelband „Weil Design die Welt verändert …: Texte zur Gestaltung“ zu Wort.
Allein schon der Titel des Buches repräsentiert das Gegenteil des Inhalts: Dort wird nämlich explizit nachgewiesen, dass Design eben nicht Welt verändern, sondern im günstigsten Falle etwas verbessern kann (Jesko Frezer). Und um Gestaltung geht es schon gar nicht: Obwohl Max Bill diesen Begriff für das 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt hat, wird er nicht weiter thematisiert. Und Ironie der Geschichte: Wolfgang Fritz Haug, der große Apologet der Warenästhetik in Deutschland (seit den 1960er Jahren) kritisiert das heutige Design an der Stelle, wo es seine »Kernkompetenz« aufgegeben hat: »Also, was macht man, wenn man Design macht? Man gibt etwas eine Gestalt, das eine Gestalt braucht. Was ohne Gestalt keinen Sinn hat, bekommt eine Gestalt« (S. 191).
Aber darum geht es den Herausgebern überhaupt nicht. Vielmehr schwimmen sie im Strom der insbesondere an deutschen Designhochschulen so beliebten Fluchten vom Design in die Kunst: Friedrich von Borries (Architekt und Werbefachmann in Berlin) sowie Jesko Fezer (Architekt, Künstler, Ausstellungsmacher und Mitbetreiber der Buchhandlung Pro qm) lehren beide an der HBFK in Hamburg (Designtheorie und experimentelles Design). Als die vermeintlich neuen Gurus des Designs beziehen sie sich weitgehend auf historische Vorbilder wie Victor Papanek (Jeder Mensch ist ein Designer), das Sozio-Design von Bazon Brock (das er bereits in den 1970er Jahren im Kontext des IDZ Berlin formuliert hat) oder die Beiträge von Tomás Maldonado (»Umwelt und Revolte«, 1970), dessen Inhalt sie überhaupt nicht in die Gegenwart transferieren können.
Allesamt also durchaus bedeutsame Vordenker, die hier zitiert werden. Aber mit der Gegenwart geschweige denn der Zukunft von Design tun sich die Herausgeber reichlich schwer, nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, daß deren »Designpraxis« völlig diffus ist. »Cradle-to-Cradle« (von Michael Braungart und William McDonough entwickelt) sind im Bewußtsein insbesondere von Designstudierenden schon lange angekommen, allein an praktischen Beispiel fehlt es noch immer. Und ob die derzeit so en vogue gekommenen neuen »3-D Techniken« zu veritablen Designrevolutionen führen können, ist zu bezweifeln. Viel eher ist zu vermuten, daß diese die Individualisierung der Massenproduktion (heute Unikat-Design genannt) beflügeln werden, das seit den 1990er Jahre (Piore und Sable) diskutiert wird.
Und so wie es an relevanten Diskursen zur Gestaltung fehlt, so fehlt es in diesem Buch ganz besonders an den praktischen Beispielen zum neuen Design. Daniel Kerbers Entwurf für mobile Notunterkünfte (gezeigt auf der Istanbul Design Week), Julia Lohmanns Abgüsse gefrorener Babymäuse oder Ton Mattons KlimaMaschinen (Bill Calder läßt grüßen) sind für Medien und Galerien konzipiert, verändern tun sie wahrlich überhaupt nichts. Und so ist es erneut Wolfgang Fritz Haug, der die berechtigte Frage stellt, mit was eigentlich die Designer von 8 bis 16 Uhr ihr Brot verdienen wollen, aber 17 Uhr können sie ja dann sabotieren. Nun ja, die HFBK bietet dafür anscheinend genügend Stellen. Daß gerade der heute fast 80ig jährige W.F. Haug diese Grundwidersprüche thematisiert beruhigt ungemein, hatte er doch während der Studentenrevolution in den 1960/70er Jahren massiv den sich damals abzeichnenden Entwurfsnihilismus befördert.
Heute haben die Fertigungstechnologien, die Ökonomie aber auch die Materialwissenschaften eine dominierende Macht über das Design. Jesko Fezer schildert dies am Beispiel Apple recht anschaulich: von der Gewinnung der Rohstoffe in Afrika, der Fertigung bei Billigstproduzenten in China und dem Vertrieb zu Höchstpreisen, und dann noch »designed in California« – darauf basiert das Geschäftsmodell von Apple, welchen er nahezu beschönigend als »asymmetrische Produktion und Distribution« (S. 30) bezeichnet. Früher hätte man das als Ausbeutung bezeichnet und ökologisch korrekt zu agieren ist ohne das I-Phone gar nicht mehr möglich.
Der wahre Nutzen dieses Buch besteht darin, daß es solche »Grundwidersprüche« aufdeckt. So gesehen stellt es durchaus einen bedeutsamen Beitrag zur Theorie und Geschichte von Design dar: die heute allenthalben proklamierte Ausweitung des Designbegriffs führt zu dessen ökonomischer Marginalisierung, das DesignKunstWerkProdukt erscheint nur noch in den Medien. Manche Designer sollen sich und ihre Entwürfe in der Not mittlerweile schon in TV-Castingshows zu Markte tragen. Designleistungen werden im Internet an den Meistbietenden versteigert…Das Kreativitätspotential ist zur Billigware verkommen (Ralph Sommer, S. 134).
Und Designgeschichte wiederholt sich doch: die medialen Vermarktungen zu Zeiten des Neuen Deutschen Designs (in den 1980er Jahren) führten immerhin dazu, daß etliche Designprofessuren neu besetzt wurden, und manche dieser Stühle stehen heute zur Wiederbesetzung an, deshalb muß man schon laut und deutlich auf sich aufmerksam machen. Einen Fortschritt zum Designdiskurs bietet das Buch jedoch nicht, vielmehr zeigt es ganz offensichtlich, daß die Lage hoffnungslos ist, aber nicht wirklich ernst. Nur wenn dabei das Design zum Gesellschaftsspiel verkommt, dann bleibt einem das Lachen einfach nur noch im Halse stecken….
Weil Design die Welt verändert … : Texte zur Gestaltung,
hrsg. von Friedrich von Borries und Jesko Fezer.
Berlin: Die Gestalten Verlag, 2013, 255 S.
ISBN: 978-3-89955-475-5 / 24,90 EUR