Lars Müller (Hg.): Max Bill. Sicht der Dinge

Die gute Form: Eine Ausstellung 1949
Herausgegeben von Lars Müller in Zusammenarbeit mit dem Museum für Gestaltung Zürich

Rezension von Bernhard E. Bürdek

Die Ausstellung „Die gute Form“, zuerst gezeigt anlässlich der Basler Mustermesse (7.-17. Mai 1949), gehört zu den Legenden der Designgeschichte, oftmals zitiert, aber nie in ihrer Breite dokumentiert. Als der Grafiker und Verleger Lars Müller die Original-Ausstellungstafeln eher zufällig auf dem Dachboden des Gewerbemuseums Winterthur entdeckte wurden sie in das Zürcher Museum für Gestaltung überführt und damit vor der Vernichtung gerettet.

Sodann begann eine wissenschaftlich-designhistorische Aufarbeitung des Phänomens „Die Gute Form“, die jetzt in einem Buch nachvollzogen werden kann. Die Konzeption der Ausstellung als auch deren Rezeptionsgeschichte werden akribisch dokumentiert, die nationalen wie internationalen Auswirkungen in all ihren Facetten geschildert.

Deyan Sudjic (Design Museum London) erinnert daran, dass Max Bill einer jener Entwerfer war, der durch seine eigenständige Haltung geprägt war – als Architekt, Designer, Grafiker, Künstler u.a.m. Sudjic schreibt: „Cole stellte eine Schau zusammen, die der Öffentlichkeit, der jungen Generation und der Industrie vorführen sollte, was gute Gestaltung ausmacht“. So kann man auch die Bill´sche Ausstellung von 1949 bewerten, sie sollte Leitbild für die Nachkriegsgeneration in Europa sein. Auch wenn funktionales Gestalten immer mit den Positionen von Max Bill verbunden sein wird (z.B. durch das Gebäude der Hochschule für Gestaltung auf dem Ulmer Kuhberg), so ging es ihm doch darum, dass die Harmonie zwischen Form und Gebrauchs eines Objekts bestimmend für gutes Design sein müssen.

Claude Lichtenstein, der bereits die Ausstellung „Gut in Form (2001) kuratierte, untersucht in seinem Beitrag „Die schöne Form des guten Gegenstandes“ diesen Aspekt äußerst präzise. Hatte nicht Mies van der Rohe den legendären Satz geschrieben: „Form als Ziel mündete immer in Formalismus“ ( S.26), so verweist Lichtenstein darauf, dass sich für Bill die gute Form eben nicht quasi von selbst aus der Gebrauchstüchtigkeit und der technischen Qualität eines Gegenstandes ergibt (also eben nicht: form follows function), sondern sie müsse als eigenständige Anforderung behandelt und gelöst werden. Max Bill respektierte, dass die anerkannte Form ein legitimes Ziel der Gestaltung von Dingen sei. Und so war es beispielsweise auch bei Marcello Nizzoli, dem Chefdesigner von Olivetti. Eine verkürzte Betrachtung funktionaler Produktaspekte hat insbesondere das deutsche Design in den 1960/70er Jahren geprägt, indem die Hardliner des Funktionalismus gestalterische Fragen quasi ausblendeten und ausgangs der 1960er Jahre dementsprechende Reaktionen provozierten: „Die Heiligen Kühe des Funktionalismus müssen geopfert werden“ (Zeitschrift form Nr.43, 1968). Max Bill hingegen, der eben nicht nur Designer sondern insbesondere bildender Künstler war, hat sich diese Doktrin nie zu Eigen gemacht. Ihm ging es auch immer um die Frage, welche Bedeutung die Dinge für den Menschen haben (S.28). Für Bill war die enge Verknüpfung von Form und Funktion bestimmend für das Prinzip „der guten Form“. Dass heute in vielen Produktbereichen die Bedeutung vor den Funktionen rangiert ist den westlichen und östlichen Überflussgesellschaften geschuldet.

Die aus den 1980er Jahren stammende These des Schweizer Soziologen Lucius Burckhardt „Design ist unsichtbar“ lässt sich an den Bill´schen Ausstellungstafeln eindrucksvoll widerlegen: Design ist eben immer Entwurf und nicht nur Gestalt (S.29), und Design ist nicht unsichtbar sondern macht sichtbar.

Das Buch zeigt in Bildern sämtliche Objekte der legendären Ausstellung, die nicht nur die Schweizer sondern die europäische und amerikanische Produktkultur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigen. Wenn auch manche Produktbeschreibung heute seltsam klingen (saubere Gestaltung, formschön, zweckmäßig, schöne, formale Durchbildung u.v.a.m.), so ist das Buch doch eine überaus bedeutsame Aufarbeitung des Konzepts „Gute Form“. Es enthält weiterhin Beiträge von Jakob Bill (über die Anordnungen der Wanderausstellung in verschiedenen Städten), Max Bills Vortrag aus dem Jahr 1948 „schönheit aus funktion und als funktion“, sowie seine Wegbegleitung für die Ausstellung 1950 in Zürich „die gute form“

Die Kuratorin der Designsammlung im Museum für Gestaltung in Zürich – Renate Menzi – schildert in ihrem Beitrag „In achtzig Tafeln um die Welt“ die Entstehung der Ausstellung, ihre Qualität als Vorbildersammlung und ihre Überführung ins Museum für Gestaltung. Alles fürwahr eine Fundgrube für die Designgeschichte.

Archiv im Zürcher Museum für Gestaltung

Die neue Aktualität des Begriffs „Gestaltung“ in der Architektur wie im Design wird durch diese Publikation unterfüttert, die oftmals einseitige Interpretation des Begriffs „Die gute Form“ wird relativiert. So gesehen kann man darin auch ein frühes Statement zu der These „from function to meaning“ erkennen, die die gegenwärtigen Designkurse in ihrem disziplinären Kern bestimmt.