Gestaltung von Artefakten zum spielerischen Handeln.
Schriften 6, herausgegeben von Thilo Schwer und Melanie Kurz, erschienen im Verlag avedition, 2023.
Pünktlich zur Jahrestagung der Gesellschaft für Designgeschichte in Mannheim 2023 erschien der Tagungsband GfDg Schriften 6 zu den Wechselwirkungen von Design und Spiel im Verlag avedition, herausgegeben von Melanie Kurz und Thilo Schwer.
Der Mensch als Homo ludens ist keineswegs eine Erscheinung der Neuzeit. Geprägt wird der Begriff zwar erst 1938 von Johan Huizinga (01). Der niederländische Kulturhistoriker beschreibt das Spiel aber als Grundelement menschlicher Kultur, als eine Handlungsform, durch die sich kulturelle Systeme seit jeher entwickeln und festigen. Das Spielen gehört zur Natur des Menschen, ist eine Konstante in der Menschheitsgeschichte. Doch wie wir spielen und womit, zeigt viel von unserer jeweiligen Kultur und den temporär vorherrschenden Ideen.
Mit Beginn des industriellen Zeitalters erfahren die Entwicklungen auf dem Gebiet des Spielens signifikante Veränderungen und stetige Erweiterungen – kurz: ein neues Emergenzniveau. Die Arbeitsteilung, neue Materialien, großserielle Fertigungsmethoden, moderne Distributionswege und die Nutzung elektrischer Antriebe schaffen bisher ungeahnte Möglichkeiten. Sie gehen weit über eine neuartige Ausgestaltung bekannter Spielzusammenhänge hinaus. Die Erfindungen von Ingenieur/innen ziehen in Form von Modelleisenbahnen, technischen Baukästen oder optischen Unterhaltungsapparaten in die Spielzimmer ein. Neue Werkstoffe der chemischen Industrie, zum Beispiel das in den 1950er Jahren erstmals verwendete ABS (Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymere), bilden die Grundlage für massenhaft produzierte Spielzeuge von Weltmarken wie Lego oder Playmobil.
Die Computertechnologie verschafft dem Feld des Spielens schließlich bis dahin kaum vorstellbare Erweiterungen – auch im Bereich des Spielerlebens. So erzeugen sowohl die Simulation von Mitspielenden als auch die Berechnung fiktiver Umgebungen mit eigenen physikalischen Gesetzmäßigkeiten neuartige Wahrnehmungserfahrungen und führen zu einem zuvor nicht da gewesenen Grad an Immersion. Das Feld der Videospiele zeigt seit Tennis for Two von William Higginbotham aus dem Jahr 1958 und Stephen Russels Spacewar! von 1961 ein beachtliches Innovationsstreben, verbunden mit großem Marktpotenzial.
Der Unüberschaubarkeit des Gesamtangebots versuchen Strukturierungsvorschläge etwas entgegenzusetzen. Der französische Soziologe Roger Caillois stellt 1958 seine Kategorisierung mit den Grundtypen Wettkampf (agon), Chance/Zufall (alea), Verkleidung (mimikry) und physische Rauscherfahrung (ilnix) vor. Sie dienen als Folie, um zentrale Ausprägungen des Spielgeschehens bewusst zu machen. Die genannten Typen rangieren jeweils zwischen den Polen der Freude (paida) und der Geschicklichkeit beziehungsweise dem Überwinden von Hindernissen (ludus).(02)
Design – verstanden als Konzeption, Form- und Farbgebung, Materialauswahl sowie Bild- und Bewegungsgestaltung – stellt bei der Entwicklung von Spielen und Spielzeugen einen bedeutenden Faktor dar. Man denke etwa an das sogenannte Bauhaus-Schach, die Entwürfe von Renate Müller für den Volkseigenen Betrieb Therapeutisches Spielzeug in Sonneberg, den Sperrholz-Elefanten von Charles und Ray Eames, Nintendos Super Mario oder Barbie. Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass sich die Designgeschichte bislang nur punktuell mit dem Spiel, seinen Kontexten und Gegenständen auseinandersetzt. Denn mit Design sind auf dem Spielemarkt vielfach wegweisende Neuerungen gelungen: in der Konzeption, der Reflexion gesellschaftlicher und technischer Zusammenhänge, der Anpassung an unterschiedliche kognitive und körperliche Fähigkeiten, der formalen Beschaffenheit, bezüglich der entworfenen Narrative und des Einsatzes von Technik.
Im 50. Jubiläumsjahr des Rutschautos Bobby Car und der Tennissimulation Pong 2022 thematisierte die Jahrestagung der Gesellschaft für Designgeschichte Spiele und Spielzeuge aus dem 20. Jahrhundert. Die inhaltliche Bandbreite der Vorträge reichte von der Bauhaus-Wurfpuppe über Technikspielzeug bis hin zu Video- und Computerspielen. Vielfältige Artefakte, Spielideen und Rezeptionsansätze wurden hinsichtlich ihrer konzeptionellen und gestalterischen Ausprägungen in den Blick genommen und vor dem Hintergrund historischer Entwicklungslinien beleuchtet.
Beiträge von Jacob Birken, Björn Blankenheim, Gundolf S. Freyermuth, Rudolf Inderst, Frederik Kampe, Caroline Knoch und Markus Böhm, Melanie Kurz, Peter Podrez mit Christin Lumme und Sebastian Pfaller, Pia Scharf, Thilo Schwer, Michael Siebenbrodt.
Die Herausgeber danken den Kooperationspartnern bayern design, IHK Nürnberg und HBK Essen für die Unterstützung bei der Durchführung der Tagung und der Drucklegung des Tagungsbandes.
Quellen:
01 Huizinga, Johan: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek bei Hamburg 2004 [1939].
02 Caillois, Roger: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch. Berlin 2017 [1967], S. 32ff.