Streitfälle im Design
Rezension von Bernhard E. Bürdek
Die Designgeschichte kennt zahlreiche Auseinandersetzungen, die aber meistens nur recht oberflächlich erwähnt werden, dazu gehören beispielsweise die Auseinandersetzungen zwischen Walter Gropius und einigen seiner Kollegen, insbesondere die Auseinandersetzungen mit Hannes Meyer (siehe dazu: https://www.uni-kassel.de/fb06/fachgebiete/architektur/architekturtheorie-und-entwerfen/veranstaltungen.html). Die Streitigkeiten an der HfG Ulm in den 1960er Jahren über die Bedeutung von Theorie und Praxis in den Lehrplänen u.a.m. Heute sind es wohl die Debatten über Disziplinarität oder Interdisziplinarität in der Designausbildung.
Das Buch von Melanie Kurz „Designstreit. Exemplarische Kontroversen über Gestaltung“ gibt erstmals einen systematischen Einblick in Positionen, die bisher weitgehend unbekannt geblieben sind. Die Autorin widmet sich dieser Thematik in der von ihr gewohnt akribischen Art und Weise, das Buch leistet somit eine designhistorische und designtheoretische wissenschaftliche Analyse, die weitgehend offene Lücken schließt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es die legendäre Auseinandersetzung über „Ornament und Verbrechen“ (Adolf Loos), mit der ein großer und lang anhaltender Angriff gegen die „Ornament-Seuche“ geführt wurde; heute erlebt diese eine befremdliche Renaissance, die dem Postfaktischen geschuldet ist.
Der „Bauhaus-Stil“ stellte durchaus eine Fortführung der Loos´schen Überzeugungen dar, wenngleich er doch maßgeblich durch die einsetzende Industrialisierung der Gebrauchsgegenstände beeinflusst war. So vertrat Hannes Meyer – Nachfolger von Gropius am Bauhaus in Dessau – die Position, dass es im Design um Notwendigkeit gehen müsse, und eben nicht um einen Stil. Sein sozialer Funktionalismus war letztlich auch prägend für die Arbeiten an der HfG Ulm. Aber auch das Design in der DDR wurde durch diese Haltung geprägt, wobei die andauernden Mangelsituationen einen großen Einfluss auf die Gestalter hatten, gewollt und gekonnt hätten sie schon gerne, aber die Zwänge im Sozialismus verhinderten zeitgemäße gestalterische Konzepte.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Auseinandersetzung des Studios Alchimia, das 1976 von Alessandro Guerriero gegründet wurde, designgeschichtlich bedeutsam. Ging es dabei doch um die Befreiung des Designs von den Zwängen der Industrie. Alchimia verstand sich als ein „Projekt für das Erscheinungsbild des 20. Jahrhunderts“. Der zeichnerische Entwurf stand dabei im Vordergrund, es war ein Produzieren von Zeichen, also weder `Design´ noch `Skizze´. Dies war insbesondere eine theoretisch-intellektuelle Auseinandersetzung mit den Dingen, die das italienische Design maßgeblich mitgeprägt hatte. Ganz im Gegensatz zur Nüchternheit und Rationalität deutschen Designs, das bis in die 1990er Jahre angedauert hat, ging es in Italien immer auch um ein spielerisch, sinnliches Erleben von expressiven, ironischen formal komplexen Produkten und Räumen. Die inhaltlichen Auseinandersetzungen innerhalb des Studios Alchimia führte sodann zur Abspaltung von Ettore Sottsass, Andrea Branzi und Michele de Lucchi und zur Bildung der Memphis-Gruppe. Deren Arbeiten blieben nicht nur theoretisch-provokant sondern flossen durchaus in die Möbelproduktion wie z.B. von Artemide, Cassina oder Vitra ein.
Ein längeres Kapitel widmet Melanie Kurz den Ausbildungsweisen und –methoden im Design. Seit dem Bauhaus-Streit von 1919/20, bei dem u.a. der Streit um die Tradition und die Moderne ausgetragen wurde – der Streit zwischen Gropius und Johannes Itten war gleichermaßen heftig – ging es Letzterem um den Hang zur Spiritualität, sowie zur Esoterik wofür die bei ihm Studierenden wohl reichlich anfällig waren. Größer konnte die Lagerbildung am Bauhaus wohl kaum sein. Theo van Doesburg beschimpfte das Bauhaus als ein „Künstler-Krankenhaus“, was mir auch heute noch für manch eine Designschule zutreffend erscheint.
Der Schweizer Architekt Hannes Meyer, der 1928 der zweite Bauhaus-Direktor wurde, beförderte dessen Ausrichtung hin zur Rationalität. Ihm ging es um „Lebensgestaltung“ und nicht um die Ausbildung von Künstler- oder Autoren-Designern, ein Konflikt, der auch heute noch oder wieder aktuell erscheint. In der Konsequenz bedeutete dies, dass durch Schwerpunktsetzung auf Systematisierung, Teamarbeit, Verwissenschaftlichung und Spezialisierung die Kunst mit all ihren Assoziationskonzepten in Design, Architektur und auf dem Gebiet der Entwerfer-Ausbildung ausgedient hatte (S. 175). Hannes Meyer hatte durchaus maßgeblich zur Etablierung des Industriedesigns beigetragen, nach seiner Kündigung 1930 übersiedelte er nach Moskau.
Mit der Gründung der Hochschule für Gestaltung Ulm wurde dessen Architekt – Max Bill – zum ersten Rektor berufen. Er war Architekt, Bildhauer, Designer, Graphiker und Maler, also einer der letzten Universal-Künstler des 20. Jahrhunderts. Mit ihm entstanden auch eine Reihe von Konflikten, die nicht zuletzt dessen „Geltungsbewusstsein“ geschuldet waren, wie es der ihm nachfolgende Rektor Tomás Maldonado einmal geschildert hat. Bills Beharren auf künstlerischen Positionen führte in der Folge zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen den Gestaltern und neu berufenen Wissenschaftlern, wie beispielsweise Horst Rittel. Deren Intensionen, wissenschaftliche Grundlagen in die Designausbildung zu integrieren sind letztlich gescheitert, fehlte ihnen doch völlig der Zugang zu den gestalterischen Disziplinen. Diese Kontroverse erscheint mir bis heute nicht aufgelöst zu sein.
Ein langes Kapitel widmet Melanie Kurz der legendären „Bauhaus-Leuchte, denn dazu wurden zahlreiche Rechtsstreitigkeiten geführt. Die Autorin schildert äußerst präzise die verschiedenen Entwicklungsstufen dieser Leuchte, die heute als das exemplarische Produkt aus der frühen Phase des Bauhauses in Weimar gilt und heute einen hohen symbolischen Wert in der Designgeschichte des 20. Jahrhunderts besitzt.
Ein reichlich düsteres Kapitel deutscher Designgeschichte nimmt die Rolle von Walter Gropius ein, die er noch lange nach seiner Zeit in Weimar und Dessau gespielt hat. So fühlte sich Gropius durch die Neuausrichtung des Bauhauses in Dessau durch Hannes Meyer persönlich angegriffen. Gropius nährte nach seinem Weggang immer noch den Bauhaus-Mythos, beispielsweise durch die Herausgabe der legendären Bauhaus-Bücher. Meyer selbst bezeichnete das Bauhaus als eine „erziehungsstätte zur lebensgestaltung“, wohingegen Gropius die Synthese alles künstlerischen Schaffens, die dem lebendigen Leben dienen sollte in den Fokus stellte. Dieser Streit ist so gesehen auch heute noch aktuell.
Das wohl aktuellste Beispiel eines Designstreits ist die Auseinandersetzung zwischen Apple und Samsung, die sich auf deren Smartphones und Tablet-Computer beziehen. Das technisch und gestalterische Leitbild Apple wird von vielen anderen Computerherstellern aufgegriffen und zu eigenen Geräten entwickelt, deren Differenzen jedoch marginal sind. 2011 beginnen beispielsweise die Rechtsstreite zwischen Apple und Samsung, die bis heute (2017) noch nicht abgeschlossen sind. Deren Kosten – die Auseinandersetzungen gingen beispielsweise bis zum Supreme Court, dem höchsten Gericht der USA – sind nur zu erahnen.
Das Buch ist fürwahr eine Fundgrube. Es deckt mannigfaltige Phänomene auf, die in der traditionellen Designgeschichte überhaupt nicht thematisiert werden.
Dies alles ist fürwahr auch kein post-faktisches Buch, das auf Spekulationen beruht, vielmehr ist es eine Publikation, die exzellent recherchiert und anschaulich geschrieben ist. Entgegen der heute überhand nehmenden Bücher über die Ausweitung des Design-Begriffs bis hin zum Nirwana bleibt Melanie Kurz bei den Sachen (Dingen) selbst. Mehr Tiefe also entgegen der weit verbreiteten Flachheit. Somit auch ein Plädoyer für ein Design, das sich als Disziplin zu etablieren weiß.
Melanie Kurz
Designstreit. Exemplarische Kontroversen über Gestaltung
Paderborn 2017 (Wilhelm Fink. ISBN 978-3-7705-6294-7)
304 Seiten, € 39,90